Thyssen-Krupp und der Traum vom grünen Stahl: Vision oder Sackgasse?
Die Stahlindustrie befindet sich inmitten einer revolutionären Transformation. Jahrzehntelang war Stahlproduktion nicht nur ein Zeichen industrieller Stärke, sondern auch ein enormer Verursacher von CO2-Emissionen. Angesichts des Klimawandels und den ambitionierten Klimazielen der Europäischen Union stehen Stahlproduzenten wie Thyssenkrupp unter wachsendem Druck, ihre Herstellungsverfahren grundlegend zu verändern.
Die Vision: “Grüner Stahl”, produziert mit klimaneutralem Wasserstoff statt Kohle. Doch die jüngsten Schwierigkeiten bei der Umstellung und die finanziellen Probleme werfen Fragen auf. Ist der Traum vom grünen Stahl bereits gefährdet oder gibt es noch Hoffnung auf eine klimafreundliche Zukunft der Stahlindustrie? Der folgende Artikel beleuchtet die aktuelle Lage, Chancen und Herausforderungen dieses wegweisenden Vorhabens.
Thyssenkrupp: Ein traditionsreiches Unternehmen im Wandel
Thyssenkrupp, eines der traditionsreichsten deutschen Industrieunternehmen, hat sich im Laufe seiner langen Geschichte stark weiterentwickelt und diversifiziert. Ursprünglich als reiner Stahlproduzent bekannt, umfasst das Geschäft heute ein breites Spektrum an Bereichen, die von der industriellen Technologie bis hin zur Materialverarbeitung reichen.
Besonders bedeutend sind dabei die Sparten “Materials Services”, das als größter Bereich weltweit Handel und Logistik von Werkstoffen steuert, und “Steel Europe”, das weiterhin ein Kernsegment des Unternehmens bleibt und hochwertiges Flachstahl für die Automobil-, Bau- und Maschinenbauindustrie liefert.
Ein weiterer, wenn auch vergleichsweise kleiner Bereich ist “Marine Systems”. Hier produziert Thyssenkrupp U-Boote und Marineschiffe, was angesichts der aktuellen geopolitischen Lage und sicherheitspolitischen Herausforderungen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Insbesondere in Zeiten wachsender Spannungen und der Aufrüstung vieler Länder spielt Marine Systems eine strategische Rolle für die Sicherheitspolitik und könnte in den kommenden Jahren deutlich wichtiger werden. Der Auftragseingang ist in den erste drei Quartalen des Geschäftsjahres 2023/24 mehr als verdoppelt.
Fundamentaldaten
Börsenwert | 2,16 Mrd. EUR |
Mitarbeiter | 99.980 |
Hauptsitz | Essen & Duisburg |
Leistungskennzahlen
Thyssenkrupp merkt als Stahl Zulieferer der deutschen Industrie, hauptsächlich für Automobilbranche und Maschinenbau, sehr früh, wenn diese Branchen Probleme haben. Aktuell kristallisieren sich vor allem die Probleme bei den deutschen Autobauern heraus.
Wenn du mehr über diese Branche erfahren möchtest, ist dieser Artikel richtig für dich:
+++ Wie schlecht steht es wirklich um die deutsche Autoindustrie ? +++
Thyssenkrupp hat schon länger Margenprobleme im kapitalintensiven Stahlgeschäft und schafft es nicht, nachhaltig profitabel zu agieren. Durch internationalen Wettbewerbsdruck, hauptsächlich von Tata aus Indien, und deutlich höheren Kosten in Deutschland ist Stahl von Thyssenkrupp nicht mehr wettbewerbsfähig.
Sollte der Konzern die aktuell laufende Konsolidierung erfolgreich fortführen und die Prognosen erreichen, könnte sich mittelfristig eine Nettomarge zwischen 2 und 3 Prozent einstellen.
Solvenzkennzahlen
Gesamtkapital | 30,84 |
Gesamtverschuldung | 1,50 |
Liquide Mittel | 4,87 |
Nettokapital | 3,36 |
Eigenkapital | 11,60 |
Die Solvenz des Konzerns ist trotz der miserablen Lage immer noch stabil. Der Konzern verfügt unterm Strich über 3,36 Mrd. EUR Liquidität. Sollte die Situation weiterhin angespannt bleiben, wäre es unproblematisch, Umstrukturierungen mit Fremdkapital zu finanzieren.
Bewertungskennzahlen
KGV | – |
KUV | 0,05 |
KBV | 0,16 |
Die Bewertung von Thyssenkrupp ist historisch gering. Auch wenn der Konzern aktuell unprofitabel ist und somit kein KGV berechnet werden kann, sind die Bewertungsmultiples KUV und KBV, welche auch schwankungsärmer sind, hinreichend aussagekräftig, um eine extrem niedrige Bewertung festzustellen. Dennoch kann diese Bewertung als Warnzeichen verstanden werden und sollte mit Vorsicht betrachtet werden.
Mehr Informationen von Goldesel:
+++ Aktientalk: Von E-Autos über Sartorius und Netflix bis Nestlé +++
+++ Zahlen von ally Financial und was sie über den US Verbraucher verraten +++
Grüner Stahl: Die Chancen und Risiken der klimaneutralen Produktion
Die Umstellung auf klimaneutrale Stahlproduktion ist ein zentraler Punkt in den Klimazielen Deutschlands und der Europäischen Union. Rund 30 Prozent der industriellen CO2-Emissionen in Deutschland stammen aus der Stahlindustrie, weshalb der Sektor eine Schlüsselrolle im Kampf gegen den Klimawandel spielt. Um die CO2-intensive Hochofenproduktion zu ersetzen, sollen sogenannte Direktreduktionsanlagen (DRI) eingesetzt werden. In diesen Anlagen wird Eisen nicht mehr mit Kohle, sondern mit Wasserstoff – vorzugsweise grünem Wasserstoff – reduziert. Grüner Wasserstoff wird durch Elektrolyse von Wasser hergestellt, wenn der dabei genutzte Strom aus erneuerbaren Energien stammt.
Chancen von grünem Stahl:
- Reduzierung der CO2-Emissionen: Die Umstellung auf Wasserstoff-basierte Produktion könnte die CO2-Emissionen der Stahlindustrie erheblich reduzieren. Dies wäre ein bedeutender Schritt, um die nationalen und internationalen Klimaziele zu erreichen.
- Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil: In einer Welt, die zunehmend Wert auf nachhaltige und umweltfreundliche Produkte legt, könnte grüner Stahl für Thyssenkrupp und andere Hersteller ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein. Besonders in Branchen wie der Automobilindustrie oder dem Bauwesen steigt die Nachfrage nach klimaneutralen Materialien.
- Staatliche Unterstützung: Die EU und die deutsche Bundesregierung haben Fördermittel in Milliardenhöhe bereitgestellt, um den Transformationsprozess der Stahlindustrie zu unterstützen. Das IPCEI-Programm (Important Projects of Common European Interest) fördert große Investitionen in Zukunftstechnologien, was für die Stahlhersteller enorm hilfreich ist.
- Technologische Vorreiterrolle: Wenn es Deutschland gelingt, den Prozess der Stahlproduktion zu dekarbonisieren, könnte es weltweit eine Führungsrolle in der nachhaltigen Stahlproduktion einnehmen. Dies könnte neue Märkte eröffnen und Exportmöglichkeiten schaffen.
Risiken und Herausforderungen
- Hohe Investitionskosten: Der Bau von Direktreduktionsanlagen und die Umstellung auf grünen Wasserstoff erfordern enorme Investitionen. Zudem haben sich die Kosten seit den ersten Planungen deutlich erhöht. Allein der Bau der neuen Anlagen kostet etwa ein Drittel mehr als ursprünglich erwartet.
- Fehlende Wasserstoffinfrastruktur: Derzeit gibt es noch keine ausgereifte Infrastruktur für grünen Wasserstoff. Die Produktion erfolgt bislang nur in geringen Mengen, und es gibt erhebliche Unsicherheiten darüber, wann Wasserstoff in ausreichendem Umfang und zu vertretbaren Preisen verfügbar sein wird.
- Teure Produktion: Grüner Stahl wird in den nächsten Jahren deutlich teurer sein als herkömmlich produzierter Stahl. Ohne zusätzliche Subventionen oder klare Marktanreize könnte es für die Stahlhersteller schwierig werden, diesen Kostenunterschied zu kompensieren. Das könnte ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit schwächen.
- Wettbewerbsdruck und Unsicherheit: Die Unsicherheit, wann klimaneutraler Wasserstoff tatsächlich in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen wird, belastet die Planungen der Stahlhersteller. Dies setzt Unternehmen wie Thyssenkrupp unter zusätzlichen Druck, da Zeitpläne und Produktionsziele immer wieder angepasst werden müssen.
Die Rolle von Nucera: Wegbereiter für den Wasserstoffmarkt
Ein zentrales Element von Thyssenkrupps Strategie zur Dekarbonisierung der Stahlproduktion ist die Tochtergesellschaft Nucera. Dieses Unternehmen ist spezialisiert auf Elektrolyseanlagen, die für die Produktion von grünem Wasserstoff unerlässlich sind. Nucera spielt somit eine Schlüsselrolle in der Transformation der Stahlproduktion und darüber hinaus für die gesamte Industrie, die auf grünen Wasserstoff angewiesen ist.
Was genau macht Nucera ?
Nucera entwickelt und produziert Elektrolyseure, mit denen Wasserstoff durch Elektrolyse von Wasser gewonnen wird. Der dabei entstehende Wasserstoff ist dann “grün”, wenn der für den Prozess benötigte Strom aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Solche Elektrolyseure sind essenziell für die Energiewende, da sie eine zentrale Rolle bei der Produktion von grünem Wasserstoff spielen. Der Wasserstoff kann in der Stahlindustrie verwendet werden, um die Direktreduktionsanlagen zu betreiben, aber auch in anderen Sektoren wie der Chemieindustrie, dem Transportwesen oder der Energieversorgung.
Die Abspaltung von Nucera ermöglichte es Thyssenkrupp, den Bereich Wasserstofftechnologie gezielt weiterzuentwickeln und gleichzeitig externe Investitionen anzuziehen. Nucera kann eigenständig schneller wachsen und neue Marktchancen nutzen, während Thyssenkrupp vom technologischen Fortschritt profitiert, ohne selbst alle finanziellen Lasten tragen zu müssen. Allerdings bleibt die Frage, ob diese Strategie ausreicht, um die Stahlproduktion schnell genug auf grünen Wasserstoff umzustellen.
Chart: Gefangen im Abwärtstrend
Die Thyssenkrupp-Aktie erreichte 2008 bei knapp 50 EUR ihren Höchstwert. Doch nach einer längeren Konsolidierungsphase bis 2019 rutschte die Aktie ab. Deutscher Stahl war nicht mehr wettbewerbsfähig. Und das wurde vielen Anlegern bewusst.
Fazit: Große Visionen, aber viele Hürden
Die Transformation hin zu grünem Stahl bietet Thyssenkrupp und der gesamten deutschen Industrie eine historische Gelegenheit, sich als Vorreiter in der nachhaltigen Produktion zu etablieren. Die technologischen Grundlagen sind vorhanden, ebenso wie die politischen Rahmenbedingungen und staatliche Fördermittel. Doch trotz dieser positiven Entwicklungen stehen dem Unternehmen und der Branche zahlreiche Herausforderungen im Weg: Die Kosten für die Umstellung sind erheblich gestiegen, die Wasserstoffinfrastruktur ist unzureichend entwickelt, und die internationalen Märkte bleiben hart umkämpft.
Wie Martina Merz, ehemalige Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp, es kürzlich ausdrückte:
Die Dekarbonisierung der Stahlproduktion […] kann nur gelingen, wenn alle Partner – Unternehmen, Politik und Gesellschaft – gemeinsam handeln und die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen.
Martina Merz | ehemalige Vorstandsvorsitzende von Thyssenkrupp
Der Erfolg wird maßgeblich davon abhängen, wie schnell die Wasserstoffinfrastruktur ausgebaut und wirtschaftliche Anreize geschaffen werden können, um die Transformation voranzutreiben.
Die kommenden Jahre werden zeigen, ob der Traum vom grünen Stahl Wirklichkeit wird oder ob die ambitionierten Pläne an den wirtschaftlichen und infrastrukturellen Herausforderungen scheitern. Das Ergebnis dieser Transformation wird nicht nur für Thyssenkrupp, sondern auch für die gesamte deutsche Industrie wegweisend sein.
Offenlegung wegen möglicher Interessenkonflikte
Der Autor ist im besprochenen Wertpapier bzw. Basiswert zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Analyse nicht investiert.
Weitere spannende Themen