
Sell in May 2025 – oder buy the Dip? Unsere Einschätzung
Kaum ein Börsenspruch hat es so tief in das kollektive Gedächtnis von Anlegern geschafft wie dieser: „Sell in May and go away.“ Egal ob Einsteiger oder Profi – fast jeder, der sich mit der Börse beschäftigt, ist diesem Satz schon einmal begegnet. Und wie das mit vielen Börsenweisheiten so ist: Irgendetwas scheint immer dran zu sein. Doch was genau steckt dahinter? Und wie relevant ist der Spruch heute noch – gerade im turbulenten Börsenjahr 2025? Das analysieren wir in der aktuellen Goldesel Topstory.
Woher kommt der Spruch?
Sell in May and go away, but remember to come back in September.
Alte Börsenweisheit
Der Ursprung der Börsenfloskel liegt im angelsächsischen Raum, genauer gesagt im Londoner Finanzviertel des 19. Jahrhunderts. Die vollständige Version lautete ursprünglich: „Sell in May and go away, come back on St. Leger’s Day.“ Gemeint war damit der Vorschlag, das Depot zum Mai abzuräumen und erst im Herbst – rund um den traditionsreichen britischen Pferderenntag im September – wieder aktiv zu werden. Der Grund: Zwischen Mai und Oktober passierte an der Börse häufig vergleichsweise wenig, da viele Marktteilnehmer im Urlaub waren und die Nachrichtenlage dünn ausfiel. Es herrschte Flaute.
Historisch war das sogar statistisch belegbar: Laut dem „Stock Trader’s Almanac“ erzielte der US-Leitindex S&P 500 zwischen 1950 und 2013 etwa 87 % seiner durchschnittlichen Jahresperformance in der Phase von November bis April – und nur rund 13 % von Mai bis Oktober.
Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich vieles teils radikal verändert. Technologischer Fortschritt, rund um die Uhr verfügbare Informationen und ein hochdynamisches Marktumfeld haben die alten saisonalen Rhythmen durcheinandergebracht. In manchen Jahren liefen die Märkte gerade in den Sommermonaten besonders gut.
Wir haben die historischen Daten des S&P 500, des DAX und von Bitcoin analysiert, um herauszufinden, wie viel Substanz hinter diesem Sprichwort steckt und welche Einschränkungen es gibt.
S&P 500: Ein schwaches Sommersignal mit Einschränkungen
Eine Analyse der durchschnittlichen monatlichen Renditen des S&P 500 seit 1950 zeigt klare saisonale Unterschiede. Die Daten, basierend auf einer Untersuchung von Visual Capitalist, liefern folgende durchschnittliche monatliche Renditen:
Monat | Durchschnittliche Rendite (%) |
---|---|
Januar | 1,07 |
Februar | -0,01 |
März | 1,13 |
April | 1,46 |
Mai | 0,30 |
Juni | 0,11 |
Juli | 1,28 |
August | -0,01 |
September | -0,72 |
Oktober | 0,91 |
November | 1,82 |
Dezember | 1,49 |
Der S&P 500 zeigt tatsächlich saisonale Unterschiede, wenn man die durchschnittlichen monatlichen Renditen seit 1950 betrachtet. In den Wintermonaten von November bis April liegt die durchschnittliche monatliche Rendite bei soliden 1,16 %. Im Gegensatz dazu erreichen die Sommermonate von Mai bis Oktober nur eine magere Rendite von 0,31 % im Monatsschnitt. Die Sommermonate scheinen historisch gesehen schwächer zu sein.
Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass nicht alle Sommermonate gleich schlecht abschneiden. Der September sticht besonders negativ heraus – mit einer durchschnittlichen Rendite von -0,72 % ist er der schwächste Monat des Jahres und trägt erheblich zur schlechten Sommerbilanz bei. Doch es gibt auch positive Überraschungen: Der Juli zum Beispiel glänzt mit einer durchschnittlichen Rendite von 1,28 %, was zeigt, dass die Sommermonate keineswegs durchweg mau sind.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die abnehmende Relevanz dieses Musters in den letzten Jahrzehnten. Seit den 2000er-Jahren hat die Stärke des saisonalen Signals nachgelassen. Das liegt vermutlich an tiefgreifenden Veränderungen wie dem technologischen Fortschritt – etwa durch automatisierte Handelssysteme und den 24/7-Zugang zu den Märkten – sowie an der zunehmenden Globalisierung der Finanzmärkte.
DAX: Ein starker saisonaler Effekt
Eine umfassende Studie von Bouman und Jacobsen (2002), veröffentlicht in der American Economic Review, untersuchte den „Halloween-Effekt“ (synonym für „Sell in May“) in 37 Ländern, einschließlich Deutschland. Für den deutschen Markt, repräsentiert durch den CDAX Composite Index (als Proxy für den DAX), liefern die Daten von Januar 1870 bis Juli 2011 folgende Ergebnisse:
Periode | Durchschnittliche Rendite (%) |
November–April | 7,51 |
Mai–Oktober | -1,78 |
Beim deutschen Leitindex DAX zeigt sich ein noch deutlicheres saisonales Muster. Die Studie von Bouman und Jacobsen bestätigt, dass die Renditen der zweiten Jahreshälfte (November bis April) die der ersten Jahreshälfte (Mai bis Oktober) deutlich übertreffen. Für den DAX bedeutet das konkret: Von November bis April erzielt der Index eine durchschnittliche Rendite von beeindruckenden 7,51 %, während er von Mai bis Oktober im Schnitt um -1,78 % zurückgeht.
Ein Blick auf die monatlichen Schwankungen untermauert dieses Bild. Die Monate August und September sind häufig Verlierer und zeigen oft negative Renditen, was den Eindruck eines schwachen Sommers verstärkt. Dagegen gehören April und November regelmäßig zu den stärksten Monaten und tragen wesentlich zur guten Performance der Wintermonate bei. Der „Sell in May“-Effekt ist in Europa, insbesondere beim DAX, deutlich ausgeprägter als in den USA.
Trotzdem gibt es auch hier Einschränkungen. Es gibt Jahre, in denen die Sommermonate unerwartet stark sind, was zeigt, dass Saisonalität allein kein verlässlicher Indikator ist. Dennoch bleibt der saisonale Effekt beim DAX historisch gesehen robuster als beim S&P 500.
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Bitcoin: Kein klares saisonales Muster
Bitcoin stellt die Analyse vor besondere Herausforderungen. Mit einer Handelshistorie, die erst 2010 beginnt, ist die Datenbasis deutlich schmaler als bei traditionellen Märkten, und die extremen Preisschwankungen erschweren verlässliche Mustererkennung. Passt der Spruch „Sell in May and go away“ überhaupt zu Bitcoin, oder tanzt die Kryptowährung nach ihrer eigenen Melodie? Ein Blick auf die historischen Daten gibt Aufschluss.
Eine Analyse von Deutsche Digital Assets zeigt die durchschnittlichen monatlichen Renditen seit 2011:
Monat | Durchschnittliche Rendite | Anmerkungen |
April | Hoch | Einer der besten Monate für Bitcoin. |
Mai | 22,11 % | Überdurchschnittliche Renditen seit 2011. |
Juni-September | Unterdurchschnittlich | Historisch schwächste Phase |
Oktober | Hoch | Einer der besten Monate für Bitcoin. |
November | Hoch | Einer der besten Monate, z.B. 60,41 % (2010-2018) |
Zusätzliche Daten von CoinDesk untermauern, dass die Monate Juni bis September oft enttäuschende Renditen liefern. Eine Strategie, in der Anleger in August und September auf Bargeld setzen und den Rest des Jahres in Bitcoin investieren, hätte eine einfache Buy-and-Hold-Strategie historisch um das Vierfache übertroffen.
Im Gegensatz zu Aktienindizes zeigt Bitcoin keine klare Übereinstimmung mit dem „Sell in May“-Mantra. Tatsächlich spricht der Mai eine andere Sprache: Mit einer durchschnittlichen Rendite von 22,1 % seit 2011 gehört er zu den stärksten Monaten und widerlegt die Idee eines schwachen Sommers. Doch die Monate Juni bis September fallen oft ab, was teilweise mit der Vorstellung eines Sommerlochs harmoniert. Hingegen glänzen April, Oktober und November regelmäßig mit überdurchschnittlichen Zuwächsen und übertreffen die Sommerperiode deutlich.
Bitcoins Verhalten scheint von eigenen saisonalen Dynamiken geprägt, die wenig mit traditionellen Börsenweisheiten gemein haben. Diese könnten durch einzigartige Ereignisse wie Bitcoin-Halvings oder durch schwankende Marktstimmung getrieben werden. Durch die kurze Datenhistorie und die hohe Volatilität sind solche Analysen jedoch mit Vorsicht zu genießen. „Sell in May“ greift hier kaum – Bitcoin folgt seinen eigenen Regeln.
Einschränkungen und moderne Relevanz
Die historische Analyse des S&P 500, des DAX und von Bitcoin zeigt, dass der Spruch „Sell in May and go away“ in traditionellen Märkten einige Anhaltspunkte bietet. Besonders beim DAX war der saisonale Effekt ausgeprägt, mit deutlich schwächeren Sommermonaten im Vergleich zu den Wintermonaten. Beim S&P 500 zeigte sich ein ähnliches, wenn auch weniger starkes Muster, während Bitcoin eigene saisonale Dynamiken entwickelte, die nicht mit der Börsenweisheit übereinstimmten.

Dennoch gab es Daten, die die Verlässlichkeit des Spruchs einschränken. In manchen Jahren wichen die Sommermonate von der erwarteten Schwäche ab und lieferten überraschend starke Renditen. Zudem spielte das Verhalten der Anleger eine Rolle: Wenn viele Marktteilnehmer im Mai reflexartig verkauften, konnte dies die Kurse drücken und den Effekt verstärken – eine Art selbsterfüllende Prophezeiung. Bei Bitcoin erschwerte die kurze Datenhistorie seit 2010 sowie die starke Volatilität die Identifikation klarer saisonaler Trends, sodass traditionelle Muster hier kaum greifen.
Anlegerverhalten und Kapitalflüsse
Institutionelle und Retail-Anleger ticken grundlegend unterschiedlich – besonders, wenn es um saisonale Muster wie „Sell in May“ geht. Während Institutionelle langfristig planen und strukturiert rotieren, lassen sich Retail-Anleger deutlich stärker von Kalendersprüchen und medialen Narrativen leiten. Das wirkt sich spürbar auf die Kapitalflüsse und damit auch auf Aktienkurse rund um den Monatswechsel April–Mai aus.
Retail-Verhalten: „Sell in May“ als Selbstläufer
Bei Privatanlegern zeigt sich das bekannte Muster jedes Jahr aufs Neue: Sie ziehen rund um Anfang Mai Kapital aus dem Markt – oft reflexartig und über alle Sektoren hinweg. Zykliker wie Tech, Industrie oder Konsumgüter sind besonders betroffen. Das Verhalten ist weniger rational begründet als durch das Börsenmantra „Sell in May“ motiviert. Verkaufsdruck entsteht dabei nicht selten aus der Erwartungshaltung heraus, dass „jetzt alle verkaufen“. Genau diese Dynamik sorgt dafür, dass die Strategie in Teilen tatsächlich performt – eine Art selbst erfüllende Prophezeiung, gespeist von kollektiver Nervosität.
Institutionelle Rotation: Umschichtung statt Ausstieg

Bei institutionellen Investoren läuft das Spiel anders. Statt im Mai auszusteigen, wie es viele Retail-Anleger tun, nutzen sie die Phase gezielt für Sektorrotationen. Die beigefügte Grafik macht diesen saisonalen Wechsel deutlich: Von Mai bis Oktober dominieren defensive Sektoren wie Konsumgüter des täglichen Bedarfs und Healthcare – genau jene Bereiche, in die institutionelles Kapital in dieser Zeit systematisch umgeschichtet wird. Das ist kein Zufall, sondern Teil eines planmäßigen Rebalancings mit Blick auf niedrigere Volatilität und stabilere Cashflows in saisonal schwächeren Marktphasen.
In der Periode von November bis April dagegen liegt der Fokus auf zyklischeren Bereichen wie Technologie, Industrie oder diskretionärem Konsum, die in dieser Phase historisch deutlich besser performen. Diese strategische Umschichtung kann temporären Verkaufsdruck auf die zyklischen Sektoren ausüben – was wiederum das ohnehin nervöse Verhalten von Retail-Anlegern verstärken kann. Zwei völlig unterschiedliche Ansätze, die sich in der Summe stark auf die Kapitalflüsse und die Marktstruktur auswirken.
Aktuelle Marktlage – already sold?
Anfang des Jahres herrschte noch Euphorie an den Märkten: Sowohl der Nasdaq 100 als auch der S&P 500 erreichten im Februar neue Allzeithochs, der DAX schoss ebenfalls von einem Hoch zum nächsten. Doch seitdem ist viel passiert – vor allem US-Präsident Donald Trump sorgte mit seiner erratischen Zollpolitik für erhebliche Turbulenzen. Seine Ankündigung, über 75 Länder mit neuen Importzöllen zu belegen, schickte die Märkte zwischenzeitlich auf Talfahrt. Es war ein Blutbad. Erst eine 90-tägige Pausierung sorgte für Erleichterung. Doch die Unsicherheit bleibt – und die Märkte hassen Unsicherheit.
Die Lage im S&P 500, DAX und Bitcoin



- S&P 500: Notiert bei 5.282 Punkten, Jahresminus etwa –10 %, seit dem Hoch bei 6.144 Punkten ein Rückgang von –14,0 %.
- DAX: Hält sich vergleichsweise stabil bei 21.205 Punkten, +6 % seit Jahresbeginn, aber –9,5 % unter dem März-Allzeithoch bei 23.419 Punkten.
- Bitcoin: Steht bei 84.359 US-Dollar, Jahresverlust von rund –10 %, seit dem Rekordhoch im Januar bei 108.000 Dollar beträgt das Minus –21,9 %.
- Nasdaq 100: Aktuell bei 18.244 Punkten, Jahresminus von rund –13 %, vom Allzeithoch bei 22.200 Punkten rund –17,8 % entfernt.
Der S&P 500 hat sich jüngst zurückgemeldet – allein ein Trump-Tweet zur Aussetzung der Zölle reichte vergangene Woche für einen historischen Tagesanstieg von 10 %. Das zeigt: In dieser nervösen Marktphase kann eine Entspannung genauso schnell zu Kurssprüngen führen wie neue Eskalationen zu weiteren Rücksetzern.
Fazit: Lieber Strategie als Sprüche
„Sell in May and go away“ klingt nach einem simplen Rezept, um entspannt durch den Börsensommer zu kommen – aber ganz so einfach ist es heute nicht mehr. Klar: Historisch betrachtet schneiden vor allem im DAX die Monate Mai bis Oktober schlechter ab als der Zeitraum von November bis April. Beim S&P 500 zeigt sich ebenfalls ein gewisser saisonaler Effekt, während Bitcoin seinen ganz eigenen Regeln und Zyklen folgt. Doch der Einfluss von Technologie, globalen Kapitalströmen und ständigen politischen Schlagzeilen wirbeln saisonale Börsenzyklen regelmäßig durcheinander. Gerade das bisherige turbulente Jahr 2025 macht das deutlich.

Angesichts der jüngsten Korrektur an den Märkten wirkt der alte Börsenspruch aktuell sowieso fehl am Platz. Statt jetzt zu verkaufen, lohnt sich aus Sicht vieler Anleger vielmehr der genaue Blick auf Chancen. Zahlreiche Qualitätsaktien sind zuletzt spürbar zurückgekommen oder stehen kurz davor, interessante Einstiegsniveaus zu erreichen. Natürlich sollte man nicht blind ins fallende Messer greifen. Doch wer selektiv vorgeht, findet jetzt womöglich Gelegenheiten, um starke Unternehmen günstiger einzusammeln. Statt „Sell in May“ heißt es für viele daher eher: „Buy the Dip“ – aber mit Augenmaß.
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